Rheinfunde – rausgeholt
Junges Plastik & alte Scherben beim Rheinniedrigwasser Beach Cleanup
Ein Bericht von Naemi Reymann
Wochenlang hat es nicht geregnet und der Rhein hat Niedrigwasser. Es sind riesige weite Strandflächen entstanden und die Buhnen auf der Oberkasseler Seite gut zu erkennen. Viele Markierungen wie die von Fahrrinne und Untiefen-Bojen liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen. Etliches an Müll und Treibgut an Rheinkilometer 745 tritt zutage, besonders an den großen Brückenpfeilern der Oberkasseler Brücke und den Steinaufschüttungen.
Zuvor habe ich mit meiner Spurensuche ein paar Tage gewartet, denn zuerst sollen Polizei und Spezialisten nach riskanten Dingen geschaut haben können, beispielsweise Hinterlassenschaften des letzten Krieges. Auch wenn der glücklicherweise viele Jahrzehnte zurückliegt werden immer noch Granaten- und Bombenreste entdeckt, gerade zu Niedrigwasserzeiten. In Koblenz ist es so extrem, daß dort zum Ende des Monats die größte Massenevakuierung aller Zeiten ausgelöst wird, da eine 1,8 Tonnen schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt wurde. 45.000 Menschen müssen vorübergehend ihre Wohnungen räumen, betroffen sind auch ein Gefängnis, Kliniken und Altenheime (die Entschärfung ist übrigens geglückt!). Tatsächlich hat mir einige Zeit später auch der Düsseldorfer Stadtarchäologe Andreas Kupka bestätigt, daß zur Zeit dieses Niedrigwassers am Rhein Reste einer Granate gefunden wurden… Ich lasse also ein paar tage verstreichen und hoffe, daß inzwischen auch großer freigeschwemmter Müll vom Ufer weggeräumt sein könnte.
Ich nutze die temporären ungewohnten weiten Strand-Rheinblicke für Fotos und verbinde bei Spaziergängen Angenehmes mit Nützlichem: mit einer Strandreinigung. Schließlich landet aller Müll und vieles als klein geriebene (Plastik-)Müllgranulate früher oder später in unseren Ozeanen…
Verglichen mit Sara Bayles, die in den USA an ihrem Strand an 365 Tagen lang Beach-Clean-Ups macht und in ihrem Blog »The Daily Ocean« dokumentiert ist dies verschwindend wenig und kaum der Rede wert, aber dennoch denke ich, daß jeder einzelne einen Einfluss nehmen kann – und wenn viele so handeln ist die Auswirkung wieder groß!
Auf der Innenstadtseite gegenüber beherrscht das kirmesähnliche Skilanglaufspektakel das ansonsten schneefreie Düsseldorf, ich gehe auf der Oberkasseler Seite auf Spurensuche. Vielleicht findet sich sogar etwas alte Düsseldorfer Stadtgeschichte? Im Gegensatz zum Lahn-Survey vom Sommer diesen Jahres ist die Suche fast trockenen Fußes (ohne Tauchsachen) und mit einer besseren Sicht möglich. Zu sehen gibt es einiges. Interessant die alte Stoßstange eines VW-Käfers, die im Sand steckt. Ansonsten das übliche: große Autoreifen, ein Fahrrad und sowie ein Einkaufswagen. Ein Passant begegnet mir mit Holz unter dem Arm, das aussieht wie ein Teil des Seitenruders eines Plattbodenschiffs, ich hoffe, daß er damit zum Schifffahrtsmuseum marschiert und seinen Fund meldet.
Müllfundbilanz 1:
Anorak, Batterien, Bauarbeiter-Handschuh, Bratpfanne, Synthetik-Bettenvlies, Chipstüten, Chipsrollenstücke, Eisspatel aus Kunststoff, Fastfood-Essensverpackungen, Feuerzeuge, Fischblinker (zum Angeln), Fotos, Gardine mit Bleigewichtkette, Hemden, Jacke, Kappen von PET-Flaschen, Kronkorken, Kunststoffleisten, Medizinbedarf, Metall-Elemente aus dem Gerüstbau, Metallkabel mit Plastikisolierung, Stoffstück mit Militärcamouflagedruck, Mobiltelefon, Picknickreste in Plastiktüten, Plastikbecher, Plastikessbestecke, Plastiktüten, Reinigungstücher von Schiffen, viele blaue Scherben von Bierflaschen mit Silberetiketten (»Mit Verantwortung genießen« lautet übrigens der Slogan dieses Altbierherstellers, das scheint sich nicht auf das Verhalten seiner Konsumenten zu beziehen, den »Partypeople«), sechs Schuhsohlen, Stahltaue, Starkstromkabelstück, Schuhe, Schraubendreher, Tennissocke (von einem Spaßvogel mit Steinen gefüllt und zusammengeknotet), Teppich, Trinkbecherabdeckung aus Kunststoff, Trinkflaschen, Trinkhalme aus Kunststoff, sehr viele Vodka-Glasflaschen, ein oranges Kunststoff-Warnlichtglasstück, eine (vollgesch…) Windel und noch einiges mehr.
An kompostierbarem Material fanden sich Bananenschalen und ungewöhnlich viele große Zwiebelschalen. Ich wundere mich, ob es vielleicht ein besonderes Rezept geben mag mit diesen Zutaten? Ich deponiere den leichteren Teil in Abfallkörbe, den schweren an einem Brückenpfeiler und rufe bei städtischem Abfallamt sowie dem Umweltamt an (und hoffe auf schnelle Abholung).
Müllfundbilanz 2: Auf die warte ich ein paar Tage gespannt, es sind ein paar Scherben, die ich beim Hetjens-Museum, dem deutschen Keramikmuseum vorbeibringe. Ein paar Tage später erhalte ich einen Brief, in welchem mir mir die Keramikspezialistin Frau Dr. Roehmer freundlicherweise genauer meine Funde beschreibt. Mein Funde hole ich wieder ab, da ich sie behalten darf. Schöner wäre es natürlich gewesen, etwas richtig altes Bedeutendes zu finden. Ein befreundeter Unterwasserarchäologe hatte mich auch bereits neugierig gefragt, ob alte Sachen dabei seien. Tja, verglichen mit dem benachbarten Neuss und vor allem Köln ist Düsseldorf längst nicht so alt… Also, nix mit Römerfunden oder älterem… Aber auch so hat es mich gefreut.
Die drei grauen Wandscherben, der Boden und die Gefäßmündung mit dem Stein darin stammen von Mineralwasserflaschen aus Steinzeug, die im Westerwald produziert wurden. Das älteste stammt etwa aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, alle anderen sind etwas jünger. Farblich waren sie vorher auch braun, aber die dunkle Tonbeschichtung wurde im Wasser abgeschliffen. Mineralwasser war zu der Zeit etwas besonderes, es wurde als Heilwasser zu hohen Preisen in der Apotheke gehandelt. Das, von dem ich dachte, es wäre alt, entpuppt sich als das Profanste: das große Stück mit dem wellenförmigen Muster ist ein Eternitstück (üblicherweise für Bedachungen verwendet). Wenn ich daran denke, daß dieses Material asbesthaltig ist, mag ich mir nicht ausmalen, was so an Giftstoffen im Rhein über die Zeit gelöst wird!
Die Tellerfragmente aus Porzellan gehören in die 1930er bis 1950er Jahre, die Muster gibt es heute noch. Das Steingutstück mit den Riefen könnte aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen, ebenso wie der Flaschenverschluß aus Porzellan, der ein Klappdeckelverschluß ist, der für Mineralwasserflaschen aus Steinzeug aber auch für Glasflaschen verwendet wurde (ähnliches haben manche Bügelverschluß-Bierflaschen heute noch).
Bier wurde damals schon gern getrunken und auch heute immer noch in der Stadt »mit der längsten Theke der Welt«, wie es seit 1986 die Düsseldorfer Punkbank die »Toten Hosen« im Altbierlied singen…
Eine kleine Zeitreise in die Düsseldorfer Stadtgeschichte – und wer weiß, vielleicht haben meine Großeltern in ihrer Düsseldorfer Zeit schon die eine oder anderen Scherbe bei einem Spaziergang am Rheinufer gesehen?
Fotonachweis Naemi Reymann (Panasonic DMC-TZ 4)