Into the Wild
von Dr. Markus Eßer
Alle Fotografien in diesem Reisebericht sind vom Autor eigenhändig gemacht worden. Alle Zeichnungen sind von Corinna Eßer angefertigt worden.
Foto-Video-Ausrüstung:
Unterwasseraufnahmen:
Kamera: Sony HDR SR12E, Unterwasser-Gehäuse BS Kinetics: Sonoran, Beleuchtung: WERNER LED Ringlicht 36W, WERNER LED Paneel WLED 60W
Landaufnahmen:
Kamera: Canon EOS 400 D, Objektive: Canon EF 50mm 1:1.8 II, Canon EF S 18-55 mm 1: 3.5 – 5.6 IS, Tamron AF 55-200 mm 1.4-5.6, Canon EF 70-300 mm F 4 – 5.6 IS USM
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Am 12.08.2011 ging meine Reise los, die Reise „into the wild“, die Reise in die ursprüngliche Natur um Vancouver Island, in die Queen-Charlotte-Straße, einer Perlenkette von Inseln, deren vorletzte Insel Nigei-Island heißt. Hier, in einer geschützten Bucht von Nigei-Island, liegt das Ziel meiner Reise: Clam Cove.
Wie alles begann: Am internationalen Terminal des Flughafens in Vancouver habe ich nach einem langen Flug mit mehreren Zwischenlandungen in Nordamerika meinen letzten Zwischenstopp eingelegt, mein reichlich vorhandenes Gepäck entgegengenommen und bin dann mit einem Shuttle zum Süd-Terminal gefahren.
Spätestens ab dem Zeitpunkt der Ankunft an diesem Miniaturflughafenterminal „tickten die Uhren anders“, die Reise änderte den Takt. Die „Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadolny kam mir in den Sinn, es war jedoch eher die Entdeckung der Gelassenheit, für einen Westeuropäer auch ein ergreifendes Thema.
Dann startete der Flug nach Vancouver Island, Port Hardy, mit einem zweimotorigen Amphibienflugzeug. Aufgrund der eher geringen Flughöhe konnte ich einen ersten Eindruck dieser wundervollen Landschaft von British Columbia gewinnen. Ich sah scheinbar endlose Wälder, die nicht von Zivilisationsanzeigern durchbrochen wurden.
In Port Hardy verbrachte ich dann eine Nacht im Hotel Providence Inn. Am nächsten Tag nach dem Frühstück wartete ich im Hafen von Port Hardy auf John Deboeck, der mich an diesem Treffpunkt abholen wollte. In den Zeiten des Walfangs starteten von Port Hardy die Schiffe um die sanften Riesen zu erlegen, heute ist das Whale Watching neben der Holzwirtschaft eine wichtige Einnahmequelle für die Region. Pünktlich gegen 12 Uhr tauchte Johns Boot aus dem Nebel auf. Wir verstauten schnell das Tauchgepäck, füllten die Treibstofftanks und fuhren dann ca. 90 Minuten durch die Queen-Charlotte-Straße zum Clam-Cove, 90 Minuten durch unberührte Natur, vorbei an unbewohnten Inseln, begleitet von Seevögeln und Walen, am Ufer majestätische Wälder, in denen sich viele bedrohte Tierarten verstecken. Wälder, die die Kulturgeschichte der Haida erzählen könnten, wenn wir sie verstehen würden.
Wo befinden wir uns?
British Columbia
British Columbia ist eine kanadische Provinz an der Küste des Pazifischen Ozeans. Der Name der Provinz leitet sich vom Fluss Columbia ab.
Im Nordwesten grenzt British Columbia an den US-Bundesstaat Alaska, im Norden an die kanadischen Territorien Yukon und die Nordwest-Territorien, im Osten an die Provinz Alberta und im Süden an die US-Bundesstaaten Washington, Idaho und Montana. Die Hauptstadt von British Columbia ist Victoria.
Mit einer Fläche von 944.735 km² ist British Columbia nach Québec und Ontario die drittgrößte Provinz in Kanada. Bei der letzten Volkszählung im Jahre 2006 lebten hier 4.113.487 Einwohner. Dies sind 13 % der Bevölkerung Kanadas und hieraus resultiert eine Bevölkerungsdichte von 4,4 Einwohnern pro km².
Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt im Südwesten der Provinz. Die bei weitem größte Stadt und das Wirtschaftszentrum von British Columbia ist Vancouver.
Vancouver mit dem Ocean auf der einen Seite und den schneebedeckten Bergen auf der anderen Seite der Stadt ist ein lohnendes Ziel für einen separaten Urlaub, aber dies wäre das Thema für einen anderen Bericht. Mit Ausnahme der Südostspitze der vorgelagerten Insel Vancouver Island ist die übrige, durch zahlreiche Gebirgsketten geprägte Provinz dünn besiedelt.
Queen-Charlotte-Straße
Die Queen-Charlotte-Straße ist eine Meerenge zwischen der Nordspitze von Vancouver Island und dem Festland von British Columbia.
Die Meeresstraße wurden von Kapitän George Dixon nach seinem Schiff, der „Queen Charlotte“, benannt, diese wiederum hatte ihren Namen von Königin Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz, der Frau von König Georg III. von Großbritannien.
Die gleichnamige Inselgruppe, die Queen-Charlotte-Inseln, schließt sich nördlich an die Queen-Charlotte-Straße in der Hecate Straße an. Die Queen-Charlotte Inseln haben seit 2009 nicht mehr ihren Kolonialnamen, sondern heißen nach ihrem Namen in der Sprache der Haida Haida Gwaii. Die Haida sind einer der Indianerstämme, die man in Kanada First Nations nennt. Ihre Geschichte reicht bis zu zehntausend Jahre zurück, womit sie eine der ältesten ortsfesten Bevölkerungen der Welt darstellen.
Etwa die Hälfte der rund 5000 Einwohner von Vancouver Island gehört zu den Haida. Mit der schweren Pockenepidemie von 1862 brach die Bevölkerung der Haida zusammen.
Auf den Inseln lebt eine Vielzahl seltener und endemischer Tierarten, beispielsweise ist hier die größte Unterart des Amerikanischen Schwarzbären (Ursus americanus carlottae) heimisch. Viele Baumarten wie die Küstenkiefer, die amerikanische Roterle und der Riesenlebensbaum sind hier zu finden. Es gibt Schutzgebiete für mehr als 140 Vogelarten.
Nigei Island, Clam Cove
Die zweitgrößte der mittlerweile überwiegend unbewohnten Inseln zwischen Vancouver Island und dem Festland ist Nigei Island. Dort in der Clam Cove, der Muschelbucht, am südlichen Ende der Insel, ist unser Domizil, ein sogenanntes float camp. Solche Flöße wurden früher von Holzfällern oder auch Fischern genutzt, die ein mobiles Heim benötigten.
Nun liegt das float camp gut geschützt in der Muschelbucht vertäut, mit Hütten bebaut und ist ein idealer Ausgangspunkt, um die Queen-Charlotte-Straße zu erkunden. Das Floß-Camp ist nur wenige Bootsminuten von der legendären Browning Wall entfernt. Die Browning Wall wurde von Jacques Cousteau als bester Kaltwassertauchplatz und als weltweit zweitbester Tauchplatz überhaupt bezeichnet. In keinem Guide zu den besten Tauchplätzen dieser Welt fehlt dieser Platz.
Das „Hideaway – Versteck“ besteht aus mehreren fest verankerten Flößen, auf denen die einzelnen Hütten (Kompressorhütte/Werkstatt, „Bunk House“ mit Wohn- und Esszimmer, die zentrale Küche mit den Schlafräumen des Personals, Brennholzschuppen und unser separates, zweistöckiges Wohnhaus mit separatem Generator) untergebracht sind. Das Ganze liegt geschützt in einer vom offenen Meer aus nicht einsehbaren Bucht, der Clam Cove – Muschelbucht.
Warum sind die Tauchplätze um die Browning Wall so spektakulär, wieso findet man hier einen solchen Artenreichtum?
Meereslebensgemeinschaften benötigen, wie jede andere Lebensgemeinschaft auch, Nahrung. Die marine Nahrungskette wird über die sogenannte Primärproduktion durch Mikroalgen angetrieben. Die Mikroalgen brauchen für den Aufbau der Biomasse Nährstoffe, die üblicherweise nach einem Produktionszyklus im Meer durch Sedimentation unerreichbar im kalten Tiefenwasser deponiert sind.
Wieso ist dies in manchen Gebieten, den sogenannten Auftriebsgebieten (upwelling areas), anders?
Auftriebsgebiete
1) nördliche Winde treiben das Oberflächenwasser von der
Küste weg
2) sauerstoffarmes Wasser wird durch den Auftrieb an die
Oberfläche gedrückt
3) nährstoffreiches Tiefenwasser „düngt“ das Phytoplankton
4) nahezu ganzjährig ist Phytoplanktonwachstum möglich
Auftrieb bezeichnet das Aufsteigen von Wasser in Ozeanen, Nebenmeeren und Seen aus tiefer liegenden Schichten bis in die oberflächennahe, lichtdurchflutete Schicht (in der das Pflanzenwachstum stattfindet). Das Wasser in den tiefer liegenden Schichten ist meistens kälter und nährstoffreicher als das Wasser in der Oberflächenschicht. Auftrieb führt daher im Allgemeinen zu einer Abkühlung und Nährstoffanreicherung des Oberflächenwassers.
Die klassischen Auftriebsgebiete liegen dort, wo das Oberflächenwasser von einer Küste weggetrieben wird, so dass zum Ausgleich Wasser aus der Tiefe nachströmen, „auftreiben“ muss. In der oberen vom Sonnenlicht durchfluteten Oberflächenschicht sind dann die Voraussetzungen für eine hohe Primärproduktion gegeben. Für den Laien ist verständlich, dass ablandiger Wind das Oberflächenwasser von der Küste wegtreibt und dann Wasser aus der Tiefe nachströmen muss, um den Niveauunterschied auszugleichen.
Jeder Badende im Meer fühlt den Temperaturunterschied des Wassers, wenn der Wind mal vom Land, mal von See her weht. Die großräumigen Auftriebsgebiete werden jedoch nicht von ablandigen Winden, sondern von küstenparallelen Winden erzeugt. Trotzdem werden dabei erhebliche Wassermassen von der Küste weg transportiert. Dafür ist die ablenkende Kraft der Erdumdrehung verantwortlich, die man auch als Corioliskraft bezeichnet. Bedingt durch die Eigenschaften der planetrischen Zirkulation gibt es nur bestimmte Gebiete auf der Erde, in denen permanenter oder saisonaler Auftrieb angeregt werden kann. Küstenauftriebsgebiete befinden sich bevorzugt an den Westküsten der Kontinente im Einflussbereich der Passatwinde.
Verteilung der Auftriebsgebiete in den Ozeanen (rot)
1. Humboldt-Strom
2. Kalifornien-Strom
3. Benguela-Strom
4. Kanaren-Strom
5. Somali-Strom
Wie bereits angedeutet, haben die Nährstoffe des Tiefenwassers einen wichtigen Effekt auf den Ozean und dessen Lebensgemeinschaft. Es handelt sich dabei größtenteils um Nährsalze wie Nitrate und Phosphate, die bei der Zersetzung des aus der Deckschicht absinkenden organischen Materials wieder im Wasser der tieferen Schichten in Lösung gehen. Die mit dem Auftrieb in die lichtdurchflutete (euphotische) Zone aufquellenden Nährstoffe bewirken dort eine starke Vermehrung des Phytoplanktons, wobei dieses nicht selten die Ausmaße einer Algenblüte annimmt, die selbst aus dem Weltraum zu erkennen ist. Diese hohe Primärproduktion ist die Basis für die ozeanische Nahrungskette. Sie bildet die Nahrungsgrundlage für das gesamte Nahrungsnetz, vom Zooplankton (mikroskopische Krebse, etc.) über Fische, Schildkröten, Haie bis zu den Walen und Menschen. Daher ist auch die Populationsdichte höherer Arten des marinen Ökosystems in permanenten Auftriebsgebieten vergleichsweise groß. Diese Auftriebsgebiete mit außerordentlich hohen Biomasseproduktionraten haben eine große wirtschaftliche Bedeutung. Weltweit ist die Dichte mariner Säugetiere nirgends höher als in dem Gebiet um Vancouver Island.
Kaltwassergebiete beherbergen eine enorme Lebensvielfalt. Zum Einen schätzen die Lebewesen das kühle, aufsteigende Wasser, zum anderen kommt den Lebewesen auch der hohe Nährstoffgehalt dieses Wassers entgegen. Die in solchen Kaltwassergebieten vorkommenden Pflanzen- und Tierarten sind optimal an die dort vorherrschenden Bedingungen angepasst. Sie reagieren daher sehr empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensraumes.
Getrieben von der Tide
Neben dieser Vertikalbewegung der Wassermassen gibt es um Vancouver Island in der Queen-Charlotte-Straße eine beträchtliche horizontale Verschiebung der Wassermassen, nirgends ist der Tidenhub weltweit größer. Durch die Kanalisierung in dieser Meerenge wird dieser Effekt noch verstärkt. Die Skookumchuck Narrows sind ein Gezeitenstrom in British Columbia. Skookumchuck ist ein Wort in Chinook Wawa, einer ehemaligen Handelsssprache im amerikanisch-kanadischen Pazifikraum und setzt sich aus skookum=stark, kräftig, wild und chuck=Wasser zusammen. Gezeitenströme sind Ausgleichsströmungen des Meeres, vor allem im küstennahen Bereich, bedingt durch den Wechsel von Ebbe und Flut (Gezeiten).
Im Bereich um Vancouver Island wird an verschiedenen Gezeitenkraftwerk-Demonstrationsprojekten gearbeitet. Es können hier Gezeitenströmungen von 7–10 Knoten Geschwindigkeit auftreten, ein Umstand der erklärt, wieso in diesem Gebiet nur unter Führung eines ortskundigen Guides mit aktueller Gezeitentabelle getaucht werden sollte.
Tauchen im Paradies
Deswegen habe ich mich dem legendären John Deboeck anvertraut, einem Freund des Walforschers und Greenpeace-Aktivisten Dr. Paul Spong und Führer zahlloser internationaler Expeditionen in diesem Gebiet. John hat in der Clam Cove das Browning Pass Hideaway Resort errichtet, dessen Leitspruch „the best diving in the known universe!“ ist. Das Tauchen an der Browning Wall hat einen hohen Suchtfaktor, der Anblick dieser Steilwand lässt meinen Atem stocken, der Artenreichtum und die Farbenpracht sind einfach überwältigend. Ich habe die verschiedensten Tauchspots der Welt betaucht und dabei auch einige Kaltwassertauchgebiete, aber dieser Anblick ist unvorstellbar schön. Viele Kaltwasserarten kommen mir als Meeresbiologen bekannt vor und dennoch ist dieser Anblick andersartig, alles ist bunter und größer. Die farbenprächtige Steilwand gilt – zu Recht – als Mekka des Kaltwassertauchens und empfängt mich in voller Pracht: orangefarbene und weiße Seenelken (Anemonen), rote Weichkorallen und gelbe Schwämme sprießen überall, so dass man den darunter liegenden Fels nur erahnen kann, dazwischen Kammmuscheln, ellenlange Krabben, riesige Seesterne, Seeigel, Seefedern, Seegurken.
Oberhalb dieser bunten Meeres-Farbimpressionen beginnen ausladende Kelpwälder (Algen) in den verschiedensten Grüntönen, die sich im Rhythmus der Strömung wiegen. In den Kelpwäldern tauchten immer wieder Stellersche Seelöwen (Eumetopias jubatus), die größte Ohrenrobben weltweit, auf und betrachten neugierig die LED-Beleuchtung meiner Videokamera. Der Steelersche Seelöwe wurde nach dem deutschen Arzt und Naturforscher Georg Wilhelm Steller benannt. Riesige Muschelkrebse schmücken die Felsen wie Perlencolliers. Nacktschnecken und Federwürmer mit zarten Tentakeln präsentieren beinahe die gesamte Farbpalette, überall sitzen Dekorier-Spinnen-Krabben (Decorator Crabs). Egal ob oberhalb oder unterhalb der Wasseroberfläche, überall warten Organismen darauf, entdeckt zu werden. Mal zeigt sich eine bunte, handtellergroße Nacktschnecke, mal ein überdimensionaler Oktopus oder gelegentlich auch ein Orca, Buckelwal, Minkwal oder Schweinswal.
Auf gefühlt jedem zehnten Baum sitzt majestätisch ein Seeadler, der in seinem übrigen Verbreitungsgebiet vom Aussterben bedroht ist. Hinter den riesigen Fichten halten sich verschiedene Braun- und Schwarzbären auf.
Auf dem Grund des Meeres bestaune ich orangefarbene Seefedern (Ptilosarcus gurneyi). Während man in der Nordsee froh ist, einen Vertreter dieser schönen Geschöpfe anzutreffen, findet man auch die Seefedern in der Browning Passage zahlreich und mit ca. 50 cm überraschend groß.
In der Tiefe schaut man immer wieder verwundert in das grimmige Gesicht eines Seewolfes, friedlich urtümlich aussehende Geschöpfe.
Die Tierkolonien gedeihen hier so üppig, weil das Meer, wie oben erläutert, ein gigantischer Nährstoffcocktail ist, immer wieder neu gemixt durch die Gezeitenströme und aufwallendes Tiefenwasser. Eine Fülle unterschiedlichster Lebewesen klammert sich an Felsvorsprüngen oder am Meeresboden fest und braucht nur darauf zu warten, dass die Strömung ihnen pflanzliches und tierisches Plankton vor die Mundöffnung strudelt.
Dieser unendliche Nahrungsstrom, einem Schlaraffenland nicht unähnlich, ermöglicht es Arten wie den Seepocken, die man als 1 cm große Organismen kennt, handtellergroß zu werden (Balanus nubilus, 15 cm). Das Gewimmel speist eine Nahrungskette über Heringe, Lachse und Orcas bis zu Buckelwalen und Menschen.
Die Heringe werden von den hiesigen Fischern vor allem wegen ihres Rogens gejagt. In den sechziger Jahren war dieser Fischereizweig schon einmal wegen Übernutzung zusammengebrochen. Staatliche Fangquoten haben inzwischen zur Erholung der Bestände beigetragen. Alles vor Ort ist gigantisch, von der Seenelke (Metridium giganteum, 1 Meter), einer Riesenform unserer in Nord- und Ostsee heimischen Seenelke (Metridium senile, 10 cm), über die riesigen Muschelkrebse, die üppigen Nacktschnecken, die überdimensionierten Königskrabben, die riesigen Seesterne, Seefedern und Seeigel bis hin zum gigantischen Oktopus mit 90 kg und den größten Seelöwen der Welt, den Stellerschen Seelöwen, mit einem Gewicht von bis zu 1000 kg.
Die Tauchplätze sind allerdings nichts für Tauchanfänger. Die starken Gezeitenströme und das kalte Wasser des Ostpazifiks machen die Tauchgänge nahe der kleinen, unbewohnten Insel bei Port Hardy in der kanadischen Provinz British Columbia anspruchsvoll aber auch so unendlich reizvoll. Weil das Wasser aus den genannten Gründen so nährstoffreich ist, bietet es ideale Voraussetzungen für eine unglaubliche Artenvielfalt, die es mit jedem tropischen Gewässer aufnehmen kann. Die Felswand der Browning Wall, die rund 30 Meter über die Wasseroberfläche hinausragt, führt 30 Meter senkrecht und danach stufenförmig bis auf fast 70 Meter Tiefe. Dieser Tauchplatz ist insgesamt jedoch nur etwa 100 Meter lang.
Würde man ungeachtet der Gezeiten tauchen, triebe einen die starke Strömung in kürzester Zeit an dem herrlichen Drop-off vorbei. Was die Tauchausrüstung betrifft, so gilt hier alles, was für Kaltwassertauchgänge zutrifft, denn selten erreicht die Wassertemperatur Werte von über zehn Grad Celsius, deshalb ist ein Trockentauchanzug mehr als angeraten. John gab sein OK-Zeichen jeweils erst nach gründlichem Studium von Tidentabellen und aktuellen Bedingungen vor Ort.
Zum Tagesablauf:
Gegen 7 Uhr gab es ein typisch kanadisches Frühstück mit Toast, Erdnussbutter, Kartoffeln und Würstchen. Danach wurde für die erste Tauchausfahrt gerüstet. Wegen der optimalen Lage im Clam Cove war kein Tauchplatz, den wir in diesen Tagen anfuhren, weiter als 20 Bootsminuten entfernt. Meist steuerten wir am Vormittag zwei Tauchplätze an und legten zwischen den beiden Tauchgängen an Bord eine Oberflächenpause ein. Im Boot verpflegten wir uns aus einem mitgeführten kleinen Picknickkorb. Das Tauchen vom Boot war überaus bequem, ein kleines robustes Tauchboot, das verlässlich durch die Gewässer um Vancouver Island schippert.
Nach den beiden Vormittags-Tauchgängen ging es zurück auf das Floß. Dort gab es jetzt Sandwiches mit Käse, Wurst, Paprika, Tomaten, Gurken und unzähligen Soßen, dazu täglich eine frische Suppe, die den teilweise leicht ausgekühlten Körper schnell erwärmte. Währenddessen füllte John die leeren Flaschen meist direkt auf dem Boot. Die Ausrüstung blieb im Übrigen die ganze Zeit auf dem Boot, also kein lästiges Ausrüstungsschleppen während der gesamten Zeit. Nur die Geräte, deren Akkus neue Energie benötigten, mussten die 5 Meter zwischen Boot und Ladestation bewegt werden.
Nach dem Diktat des Tidenkalenders ging es dann zu den nächsten beiden Tauchplätzen. Nach dem vierten Tauchgang des Tages gab es das Abendessen, das immer auch Fleisch beinhaltete.
Nach dem Abendessen wurde immer noch ein Nachttauchgang angeboten. Dieses Angebot nahmen wir gerne an. Bei unserer Rückkehr wurde dann der Generator eingeschaltet und die Akkus konnten aufgeladen werden. Warmes Wasser für eine Dusche war den ganzen Tag über immer vorhanden. Nach der Dusche und Pflege des Geräts haben wir uns jeden Abend am Lagerfeuer zusammengesetzt, gemeinsam etwas getrunken und die Tauchgänge des Tages Revue passieren lassen.
Die Zimmer waren zweckmäßig, die Betten groß und nahezu zimmer-füllend, dennoch war unter dem Bett und in einer Regalnische an der Wand genügend Stauraum vorhanden. Das Essen war, wie oben beschrieben, dem Kulturkreis entsprechend (amerikanisch/kanadisches Frühstück, Sandwiches, fleischlastig), sowie reichhaltig und abwechslungsreich. Die Küche und alle Schränke und Kühlschränke standen den Gästen 24 Stunden offen. So konnte man zwischen den Mahlzeiten jederzeit ein Sandwich, Kuchen, einen Tee oder Kaffee genießen.
Im unmittelbaren Umfeld der Clam Cove liegen über ein Dutzend der besten Tauchplätze der Region. Wir betauchten Hideaway Wall, Hideaway Island, Rock of Life, Eagle Rock, Hussar Point, Snowfall, Rainbow Reef, The Nursery, 7 Tree Island, Browning Wall und das Wrack Themis. John entschied morgendlich, in Abhängigkeit von Wind und Tide, welche Tauchplätze wir ansteuern konnten. Die Briefings zeigten, dass John diese Gegend wie seine Westentasche kennt und genau weiß, an welcher Stelle bei welcher Königskrabbe die Strömung umschlägt.
Auf dem Floß-Camp herrscht (wenn der Generator aus ist) absolute Stille…nach einigen Tagen hört man, wenn in 100 Metern Entfernung eine Fliege vorbeifliegt. Das Meer ist erfüllt von Fischen, in Sekundenabständen lassen sich Seevögel auf die Wasseroberfläche fallen, niemals in den ganzen Tagen ist ein Seevogel mit leerem Schnabel wieder in die Lüfte gestiegen.
Insgesamt ein Ort der Stille und inneren Einkehr – man wird zurückgeführt auf die Ursprünge der Menschheit in einer Umwelt, die noch unberührt und paradiesisch wirkt. Jeder Quadratzentimeter über und unter der Wasseroberfläche ist mit Leben gefüllt. Die Tauchplätze sind großartig, die Farben der Steilwände unwirklich schön. Die Sicht war selbst im August, im ausklingenden Sommer, stets über 15 Metern. Die Körper der gigantischen weißen Seenelken machten den Weißabgleich beim Fotografieren zu einem Kinderspiel. Neben der Diversität war die Größe der Kaltwasserarten spektakulär, Tintenfische mit 90 kg, Seelöwen mit mehr als einer Tonne, alle werden ernährt vom nicht enden wollenden Nährstofffluss aus der Tiefe. Wer Kaltwassertauchen mag, wird die Queen-Charlotte-Straße lieben.
Wer kein Hotel mit Animationsprogramm und Wiener Schnitzel im Urlaub benötigt, wird immer wieder kommen wollen…zum Hideaway, dem „best diving in the known universe“ – im bekannten Universum das beste Tauchen in gemäßigten Gewässern …
Als Tauch-Reisezeit wird generell der Herbst in Kanada empfohlen. Ab Mitte September/ Anfang Oktober sind die größten Sichtweiten zu erwarten, dann ist das Hideaway auch zumeist ausgebucht. Im Sommer kann es durch die Phytoplanktonalgenblüten schon mal Sichtweiten von „nur“ 10 Meter geben, im Herbst sind es dann häufig zwischen 20 und 25 Meter Sicht. Vermutlich deswegen, waren während meines Aufenthalts nur zwei weitere Gäste auf dem floatcamp. Flaschen mit 10,12 und 15 Litern sind ausreichend vorrätig, ebenso ein DIN-Adapter. Wer möchte, kann sich aber auch die gesamte Tauchausrüstung (einschließlich Trockentauchanzug und Unterzieher) vor Ort leihen.